Bereits wenige Wochen nach Einbruch der Corona-Krise und den damit verbundenen Einschränkungen in Deutschland sowie anderen europäischen Staaten zeichnete sich ab, dass die Auswirkungen dieser Krise Frauen* und queere Personen in besonderer Weise treffen. Dem schlagartigen Aufruf von Politikerinnen und wissenschaftlichen Expertinnen, zum Wohle aller unbedingt zu Hause zu bleiben und physische soziale Kontakte so weit wie möglich einzuschränken, folgten die ersten Meldungen über dessen gesellschaftliche Konsequenzen. Der Corona- Ausnahmezustand drängt die Mehrheit der Menschen in ihre privaten Räume zurück. Dabei stellt sich heraus, dass der Rückzug ins Private, in den eigenen Haushalt und die eigene Kleinfamilie vor allem für Frauen* und queere Personen in vielen Fällen problematisch ist.
Im häuslichen Rahmen löst sich die Trennung von Freizeit und Arbeit beinahe vollständig auf. Für Frauen* und queere Personen, die bekanntlich in ihrer Freizeit sehr viel mehr Care- und Sorgearbeit leisten, bedeutet dies eine besondere Belastung. Care- und Sorgearbeit meint die Pflege von Menschen, die Erziehung und Betreuung von Kindern sowie Arbeiten wie Putzen, Kochen oder das Organisieren des Alltags zu Hause. Im immer noch weit verbreiteten klassischen Kleinfamilienmodell sind es vor allem Frauen* und queere Personen, die diese Arbeiten verrichten. Zu dieser Mehrfachbelastung trägt auch die Schließung der Kindergärten bei. Eine Reduktion des achtstündigen Arbeitstages wäre wünschenswert, trifft aber die Realität dieser Personen nicht ausreichend, da nach dem Arbeitstag (wie lange er auch gehen mag) der Care-Arbeitstag folgt. Forderungen müssen über eine Reduktion des Arbeitstages hinausgehen.
Besonders in Haushalten, in denen Personen Gewalt ausgesetzt sind, ist die momentane Zurückdrängung ins Private sehr gefährlich. Es wird schwieriger, Hilfestrukturen aufzusuchen, sich an andere Menschen zu wenden oder den eigenen vier Wänden zu entkommen. Selbst ohne Corona-Krise ist jede dritte Frau* mindestens einmal in ihrem Leben Opfer häuslicher Gewalt. Die vorläufigen Statistiken zeigen, dass Vorfälle häuslicher Gewalt steigen, die Anrufe bei Frauenhäusern und Notfallstellen jedoch zurückgehen. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass Frauen* keinen ruhigen Raum haben, um überhaupt telefonieren zu können. Erste Maßnahmen, wie Codewörter in Apotheken nennen zu können um Hilfe zu bekommen, werden eingeleitet, sind jedoch viel zu wenig.
Auch ist es kein Zufall, dass in den momentan als „systemrelevant“ bezeichneten Berufen, also den Berufen, die die Gesellschaft am Laufen halten sollen, mehrheitlich Frauen* und queere Personen arbeiten und dass diese größtenteils schlecht bezahlt sind. Hinzu kommen schlechte Arbeitsbedingungen und häufig wenig gesellschaftliche Anerkennung, wie beispielsweise in der Altenpflege oder im Einzelhandel. Wir haben es satt, dass diese notwendigen Tätigkeiten den meisten nur ein solidarisches Klatschen wert sind! Die Bonuszahlungen in Supermärkten und Krankenhäusern, von denen zumal Altenpflegerinnen ohne ersichtlichen Grund ausgeschlossen sind, sind nicht annähernd ausreichend. Stattdessen braucht es eine dauerhaft bessere Bezahlung. Unter schlechter Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen leiden zudem vor allem ausländische Arbeitskräfte, beispielsweise Personen, die in der 24 Stunden Pflege in Deutschland arbeiten. Dies betrifft momentan um die 300.000 ausländischen Pflegekräfte, von denen die Mehrheit Frauen sind. Auch die 40.000 Menschen, die aus Osteuropa zeitweilig als Erntehelferinnen kommen, werden massiv ausgebeutet. Zwar bekommen sie den Mindestlohn, in der Regel werden aber überhöhte Unterbringungs- und Versorgungskosten davon abgezogen. Für viele Menschen die zudem illegalisiert in Deutschland sind und arbeiten, gibt es im Moment quasi keine Möglichkeiten, Hilfestrukturen zu aktivieren. Die Spargel-Arbeiterinnen in Bornheim haben auch gezeigt, dass nicht immer der Mindestlohn gezahlt wird und dass Arbeitsrechte -auch rassistisch motiviert- nicht beachtet werden. Die Arbeiter*innen in Bornheim haben sich gewehrt und damit eine große Öffentlichkeit erreicht. Sie haben uns wieder einmal gezeigt, dass Streik eine direkte und sehr wirkungsvolle Art des Arbeitskampfes und des Widerstands sein kann.
Die Krisenlasten, die aus der aktuellen Pandemie entstehen, werden von oben nach unten umverteilt – schon jetzt ist bspw. absehbar, dass einige Teile des Einzelhandels wegbrechen werden. Beispielsweise will Galeria Kaufhof aufgrund des Verlustes 80 von 170 Filialen schließen – das sind knapp 50%, in denen vorwiegend Frauen* und queere Personen beschäftigt sind. Zudem sind auch Arbeitsbereiche der Jugend- und Bildungsarbeit stark von kommunalen Einsparungen durch die Krise betroffen. Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz und müssen von Kurzarbeit leben, während die Mieten weiterhin gezahlt werden müssen.
Außerdem steht auch für die Beschäftigten im Gesundheitssektor nach der Corona-Krise keine Reduzierung der Arbeitsbelastung an. Nach und nach wird der Krankenhausbetrieb wieder von der Notfallversorgung hin zur Profitorientierung umgestellt. Wenn alle OPs und Behandlungen, die in den letzten Monaten ausgesetzt wurden, nachgeholt werden müssen, heißt das bei Personalmangel eine immense Mehrarbeit, die niemals ausgeglichen werden kann.
Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise haben die Missstände und Ungleichheiten verdeutlicht, die bereits im sogenannten Normalzustand vorherrschen. Man möge sich vorstellen, dass alle Frauen* und queere Personen an einem Tag ihre Arbeit niederlegen würden. Man möge sich vorstellen, sie würden die Arbeit für eine Woche niederlegen.
Wir brauchen ein solidarisches Konzept, die Infektionsketten zu brechen, ohne, dass die Menschen in ihr Eigenheim zurückgedrängt werden. Denn in privaten Räumen sind Frauen* gesellschaftlichen Machtstrukturen ausgesetzt, ohne dass die Öffentlichkeit etwas mitbekommen und andere helfen könnten. Denn die Gewalt ist überall: Morde an Frauen* und queeren Personen im Rahmen von Partnerschaftsgewalt sind keine Ausnahme, sondern passieren in Deutschland jeden dritten Tag.
Ein solches solidarisches Konzept muss auch die gesellschaftliche Organisation von Care-Arbeit beinhalten. Es reicht nicht die Arbeitsstunden im Home-Office zu reduzieren, die Vorstellung des schützenden Heims an sich muss hinterfragt werden. Das bedeutet, dass auch in Zeiten der Angst vor der Verbreitung des Corona-Virus Solidarität nur heißen kann, dass man weiter zusammensteht. Es muss eine öffentliche und gemeinsame Organisation geben, denn man kann Menschen nicht davon überzeugen, sich vor dem Corona Virus zu schützen, wenn die Auswirkungen so verheerend sind. Nur durch Zusammenhalt kann ein gesellschaftlich verantwortungsvoller Umgang mit dem Corona Virus erreicht werden.
Wir sollten uns zusammentun, uns mit unseren Nachbarinnen, Freundinnen, Kolleg*innen, Bezugspersonen, Verwandten, mit neuen und vertrauten Gesichtern unterhalten, um uns über infektionssichere sowie gesellschaftlich notwendige Organisation auszutauschen – um gemeinsam stark zu sein. Niemand sollte alleine bleiben. Jetzt nicht, und auch sonst nicht. Lasst uns solidarische Strukturen bilden, füreinander da sein, gemeinsam laut sein gegen Ausbeutung, Gewalt und Unterdrückung. Wir wollen vorwärts und nicht zurück in den “Normalzustand”, denn die Normalität war bereits das Problem!
Ihr wollt euch politisch einbringen und organisieren?
An jedem 8. des Monats trifft sich der Feministische und Frauen*streik Freiburg.
Kommt zu den Treffen, informiert euch, werdet aktiv, achtet auf die Menschen um euch herum und achtet auf euch selber!